Der Schatz aus dem Stall 

28. March 2024

Kaum ein Lebensmittel verwenden wir häufiger, aber auch beiläufiger als das Ei. Viel zu oft vergessen wir, was und wer eigentlich dahintersteckt. Eine Hommage an das Hühnerei in Text und Bild.

In seinem Menü hat das Ei einen Ehrenplatz 

In den Räumen des Restaurants Gandria sind Eier in zig Grössen und Farben ersichtlich. Eier aus Porzellan, Ton, Kunststoff, ja sogar eines aus einer ganz dünnen Schicht Zucker sei dabei, erklärt Adriano Peroncini, der das Gandria seit 2015 mit dem Fokus auf eine moderne italienische Küche führt. Als Koch, aber vor allem als Pâtissier, sei das Ei die Zutat, ohne die er nicht auskomme, die ihn immer wieder umtreibe und inspiriere: «Mich faszinieren die Form und die Texturen eines Eis, und natürlich die technischen Möglichkeiten beim Kochen.» In seinen Menüs habe das Ei immer einen Spezialstatus, dies natürlich ohne aufdringlich zu wirken. Auf seiner Dessertkarte stehen momentan zwei Hommagen an das geliebte Produkt: Einmal das Uovo di Amalfi, ein Trompe l’ Œil eines aufgeschlagenen Eis mit einem Dotter aus Honigmango und Eiweiss aus einer Crème aus Amalfi-Zitronen. Und dann das Meisterstück: l’Uovo di Colombo, das Ei des Kolumbus, eine hauchdünne Eierschale aus Zucker, gefüllt mit cremigen und flüssigen Elementen rund um die Aromatik von Vanille und Passionsfrucht. 

3-Sterne-Koch liebt Pommes frites mit Spiegelei 

Juan Amador, Starkoch aus dem Wiener 3-Sterne-Restaurant Amador gerät ins Schwärmen, wenn er von seiner jüngsten Ferienreise nach Mexiko erzählt. Er sei eigentlich kein Frühstücks-Fan, habe sich aber jeden Morgen von Neuem auf die Spiegeleier mit Mole – einer Mischung aus Chilis, Nüssen, Gewürzen und ungesüsster Schokolade – gefreut. Auch ein Arme-Leute-Essen aus Spanien, der ursprünglichen Heimat seiner Familie, hat es dem Starkoch angetan: Pommes frites mit Spiegelei und Pata-Negra-Schinken. Und welche Rolle spielt das Ei in Amadors Fine-Dining-Kreationen? «Eine ganz zentrale, denn es geht ja nicht nur um die Textur, sondern auch um den Geschmack», sagt der Spitzenkoch. Amadors wahrscheinlich berühmtestes Gericht ist die geeiste Beurre Blanc mit Haselnuss-Schaum, in der Schale pochierter Auster und Oscietra-Kaviar. Nachdem er einen Beurre-Blanc-Ansatz zubereitet hat, verarbeitet er 600 Milliliter davon mit 300 Gramm Butter, einem Esslöffel Glucose und sechs Eidottern zu einer geschmeidigen Glace. Mit Bindemittel anstelle von Eigelb würde der Amador-Klassiker nicht einmal halb so viel Spass machen. 

Das Ei im Hotelpalast: Unverzichtbar seit 1896 

In der Pâtisserie des Badrutt’s Palace in St. Moritz spielen Eier seit dem Eröffnungsjahr 1896 eine ganz entscheidende Rolle. Diverse Klassiker, allen voran das legendäre, vom ersten Tag an auf der Karte befindliche Soufflé, wären ohne den Schatz aus dem Hühnerstall undenkbar. «In unserem Soufflé-Rezept kommen auf einen Liter Milch 20 Eier», sagt Stefan Gerber, der seit mehr als zwei Jahrzehnten als Executive Pastry Chef die süssen Wünsche der exklusiven Klientel des Swiss-Deluxe-Hauses erfüllt. Was im Hauptgebäude mit dem ikonischen Turm die Soufflés sind, ist in der einen kurzen Spaziergang entfernten Chesa Veglia das Tiramisù. Rund 2000 Portionen davon werden im ältesten Gemäuer von St. Moritz pro Jahr serviert. Ohne dass dafür in der Küche ein einziges Ei aufgeschlagen würde. «Um eine bakterielle Verunreinigung zu hundert Prozent ausschliessen zu können, verwenden wir frische Eier nur für Gerichte, die erhitzt werden, für eine Mousse, eine Crème oder eben ein Tiramisù greifen wir zu pasteurisiertem Eiweiss respektive Eigelb», erklärt Executive Pastry Chef Gerber.

Kein Ei – auch das ist eine Möglichkeit 

Sie sei überzeugte Veganerin, witzelt Köchin Michaela Frank. Selbstverständlich sei sie ein grosser Fan von Eiern, auch wenn sie dieses Produkt gleichzeitig extrem hinterfrage. «Etwas vom Schwierigsten in einer Gastroküche ist Ei aus dem Tetrapack. Diese Eier – je nach Bedarf praktisch als Vollei, Eigelb oder Eiweiss erhältlich – kommen sehr oft aus Ungarn oder Polen. Welche Maschinerie dahintersteckt, darf man sich gerne selbst ausmalen.» Im Kulturlokal Rank, wo Frank bis vor kurzem Küchenchefin war, arbeitet man deshalb nur mit Schweizer Bio-Frischei. «Es lohnt sich, sich jeweils Gedanken zu machen, wie man um den Einsatz eines Eis herumkommt: Beim Panieren zum Beispiel braucht es in meinen Augen kein Ei, da reicht etwas Flüssigkeit wie Milch.» Auch eine Mayonnaise lasse sich auf der Basis von Senf, Essig und Sojamilch mit Öl problemlos zu einem guten Ergebnis aufmontieren. Oder man arbeite mit Ei-Ersatzprodukten, so die Köchin. Aber es gebe auch die Fälle, wo man einfach zu Eiern greifen müsse: «Bei einem Biskuitteig, einem Gugelhopf oder einem Pâte à choux würde ich nie auf Ei verzichten.» 

Extrahalt für 60 Eier vom Bauernhof 

Wer einmal Sabrina Cipollas Fagottini gegessen hat, will sie unbedingt wieder. Die gefüllten viereckigen Pasta-Täschchen sind mittlerweile das Signature Dish der Köchin, obwohl ihr Repertoire weit über selbstgemachte Pasta reicht. Die Fagottini sind so sehr gefragt, dass in einer guten Woche mit Kochworkshops und Anlässen in Cipollas Kochstudio in Zürich schnell einmal 60 bis 80 Eier wegkommen. Die meisten davon für den Pastateig. Den benötigten Eiervorrat besorgt Cipolla immer selbst, auf dem Weg von ihrem Wohnort im Aargau nach Zürich: «Ich fahre tagtäglich am Bauernhof der Familie Killer vorbei und sehe die Hühner draussen auf der Wiese.» Trotz Cipollas sehr direktem Draht zu ihren Eierlieferantinnen kommt es vor, dass plötzlich mal kein Ei mehr da ist: «Ei ist wohl das Produkt, das mir am ehesten ausgeht. Dann muss ich in den Supermarkt.» Das sind die Momente, in denen es vorkommen kann, dass der Pastateig oder die Brioches nicht so werden wie gewohnt. Immer wieder staune sie, so die Köchin, dass Ei nicht gleich Ei ist: «Wir spüren sofort einen Unterschied, wenn wir nicht unsere angestammten Eier haben.» 

Möchten Sie mehr darüber erfahren, wie Adriano Peroncini, Juan Amador, Stefan Gerber, Michaela Frank und Sabrina Cipollas zu Eiern stehen und aus ihnen oder Alternativen köstliche Kreationen schaffen? Interessieren Sie sich für weitere Fakten rund um das Thema Huhn und Ei? Den vollständigen Artikel finden Sie in der aktuellen Ausgabe unseres Magazins.

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