Tour de Romandie Vol. 1 – Guy Ravet

6. October 2020

In Zeiten von Corona das eigene Land entdecken und dabei innere Grenzen überwinden: Das war das Ziel, als marmite diesen Sommer zum Sprung über den Röstigraben ansetzte und sich in der Westschweiz mit vier Spitzenköchinnen und -köchen zum Gespräch traf. Die erste Etappe führte in die Waadt zu Guy Ravet, dem 37-jährigen Co-Patron der Ermitage des Ravet in Vufflens-le-Château.

Hinweis: Den ausführlichen Bericht über den Kulinarik-Abstecher von marmite in die Romandie finden Sie in der Ausgabe 5 2020 (am Kiosk oder im Abo erhältlich).

Guy Ravet, wann wurde die Ermitage erstmals eröffnet?

Das Gebäude stammt aus dem Jahr 1580. Vor 32 Jahren kauften mein Vater Bernard und meine Mutter Ruth das heruntergekommene Gemäuer, in dem der Brennnessel kniehoch stand. Sie entschlossen sich gleich zu Beginn, nicht nur das Gehöft zu renovieren, sondern auch einen Anbau mit Gästezimmern zu errichten. Diese werden bis heute für die Beherbergung der Restaurantgäste genutzt. Die Eröffnung fand übrigens im Oktober 1989 statt.

Was wurde denn seither baulich angepasst?

Vor zwei Jahren haben wir das Restaurant rundum erneuert und auch alles neu gestrichen. Das Haus steht unter Denkmalschutz. Und die Denkmalschützer haben unter den vielen Lackschichten auch uralte Reste einer schönen und wieder sehr modernen mausgrauen Farbe gefunden. Diese haben wir als Basis für das Restaurant ausgewählt, alle Vorhänge entfernt und so das Intérieur im wahrsten Sinne des Wortes entstaubt.

Wieviele Gäste bewirten Sie in Ihrem Restaurant?

In Zeiten von Corona bieten wir 26 Plätze an. Aber auch vorher waren es nie mehr als 30 gewesen. Vom Platz her könnten wir natürlich deutlich mehr Gäste bewirten. Aber uns ist neben der Qualität auch der familiäre Spirit in unserem Lokal sehr wichtig. Unsere vielen Stammgäste wissen, dass mein Vater und ich in der Küche und meine Mutter und meine Schwester im Service arbeiten. Wir hören sehr oft von unseren Gästen, dass sie sich bei uns wie zuhause fühlen. Und genau so soll es sein.

Haben Sie auch Hotelzimmer?

Ja, wir haben insgesamt neun Zimmer, davon drei Suiten. Speziell jetzt ist die Belegung sehr hoch. Vor Corona hatten wir unter der Woche jeweils auch Geschäftsreisende, während an den Wochenenden die Restaurantgäste für Vollbelegung sorgten. Momentan sind wir auch so komplett belegt. Nicht zuletzt dank Besuchern aus der Deutschschweiz. Diese machen aktuell fast 60 Prozent unserer Gäste aus.

Wieviele Mitarbeiter arbeiten in Ihrem Betrieb?

Insgesamt sind wir 15 Personen, davon arbeiten fünf in der Küche.

Wieviele Michelin-Sterne und Punkte bei GaultMillau haben Sie denn derzeit?

Wir haben aktuell einen Stern von Michelin und 19 GaultMillau-Punkte.

Haben Sie weitere Auszeichnungen erhalten, und in welchen Organisationen Sie sind Mitglied?

Wir haben im Lauf der Jahre sehr viele Preise und Auszeichnungen erhalten. Natürlich freut uns das jedes Mal. Aber es ist nicht das Wichtigste. Ausserdem sind wir seit vielen Jahren Mitglied der Grandes Tables de Suisse, wo ich Ende August die Präsidentschaft übernommen habe (siehe dazu auch weiter unten). Ausserdem sind wir bei den Grandes Tables du Monde dabei.

Seit wann arbeiten Sie im elterlichen Betrieb?

Ich habe bereits die Lehre hier gemacht. Nach meinem Abschluss im Jahr 2002 besuchte ich die Hotelfachschule in Lausanne. Anschliessend ging ich zwei Jahre nach Paris und New York. Seit ich von dort zurückgekehrt bin, das war 2007, arbeite ich nun ununterbrochen in der Ermitage. Das sind jetzt auch schon wieder 13 Jahre.

Auch meine Frau arbeitete übrigens letzthin im Betrieb – obwohl das eigentlich nicht vorgesehen war: Kurz vor der Wiedereröffnung nach dem Lockdown hatte ich einen Tennisunfall und musste mein Knie operieren. Da ist sie eingesprungen und half mir in der Küche.

Welches waren denn Ihre prägendsten Stationen bisher?

Eine wichtige Etappe war sicher Paris, wo ich bei Alain Ducasse gearbeitet habe. Aber noch wichtiger war meine Zeit in New York im Restaurant per se. Auch wenn ich Thomas Keller selbst nur selten persönlich zu Gesicht bekommen habe – mein direkter Vorgesetzter war Küchenchef Jonathan Benno – war diese Zeit schlicht grossartig. Keller hat dieses Supertalent, die besten Talente zu finden und zu einem Team zu formen. Ich lernte dort so viel, in der Küche, aber auch einfach in der Stadt.

Ich habe alles wie ein Schwamm aufgesogen und trotz der vielen Arbeit enorme Energie getankt. In jeder freien Minute war ich am kosten und probieren, habe alles gegessen und getrunken, was ich auf der Strasse und in Restaurants und in Läden an internationalen Speisen und Spezialitäten gefunden habe. Die Restaurantszene in New York funktioniert wie eine grosse Familie, und es ist deshalb ein Leichtes, spannende Kollegen zu treffen.

Ein junger Koch half mir bei der Wohnungssuche. Er war bei Daniel Humm angestellt. Und so lernte ich auch Daniel persönlich kennen. Mit einigen Kollegen aus dieser Zeit bin ich heute noch in Kontakt. Die meisten waren so alt wie ich. Heute führt einer ein Zwei-Sterne-Restaurant in London. Und auch alle anderen haben ihren Weg gemacht.

Wenn Du ins Per Se kommst, beginnst Du ganz unten. Als Commis. Das ist Tradition. Erst wenn man sich dort bewiesen hat, steigt man auf und bekommt seine Chance. Es war ein bisschen wie im Sport. Eine Lektion, die man nicht so schnell vergisst, die einen aber weiterbringt.

Und, wie gross ist die Wehmut?

Eigentlich gar nicht. Die Atmosphäre von New York fehlt mir nicht wirklich. Ich bin zwar gerne in Grossstädten unterwegs. Aber nach einigen Tagen merke ich, dass ich das Leben hier in der Schweiz viel angenehmer finde. Wir haben hier eine solche Lebensqualität. Um in einer Metropole wie New York auch nur annähernd etwas Ähnliches zu erleben wie bei uns, braucht man sehr viel Geld. Und wir sind privilegiert, gerade jetzt. Ich hatte während des Lockdowns eine Videokonferenz mit Leuten aus dem Alinéa in Chicago. Die hatten wirklich riesige Probleme. Alles ging wieder zu. Auch in New York durfte man seine Gäste nur noch im Freien bewirten. 

Was sind Ihre wichtigsten Ziele in nächster Zeit?

Mein wichtigstes Ziel ist es, glücklich zu sein. Hier zu sein und weiterhin viel Spass bei der Arbeit zu haben. Da jeder Tag anders ist, wird es auch nie langweilig.

Ich freue mich auch über meine Präsidentschaft bei den Grandes Tables de Suisse. Im August wurde ich zum Nachfolger von Pierrot Ayer gewählt und möchte da etwas frischen Wind hineinbringen. Viel Neues ist geplant. Zum Beispiel eine spannende Partnerschaft mit dem GaultMillau-Channel. Wir wollen auch die Jungen «pushen» und weniger elitär auftreten – und wir möchten unsere Präsenz in der Deutschschweiz erhöhen.

Ganz generell möchte ich auch die Work-Life-Balance, die ich derzeit habe, so lange wie möglich beibehalten. Zum ersten Mal finde ich, dass der Mix aus Arbeit, Familie und Freizeit richtig gut ist (lacht). Früher war das nicht immer der Fall.

Haben Sie Hobbies?

Ich spiele Tennis. Und gehe sehr gerne Joggen in den Wäldern hier. Ich habe auch bereits manchen Trail und einige Marathons absolviert.

Und wie sind Sie privat aufgestellt?

Ich bin verheiratet. Meine Frau heisst Mariia. Wir haben einen Sohn. Nicola ist 14 Jahre alt.

Wie würden Sie Ihre Küche in drei Worten beschreiben?

Genuss. Qualität. Freude.

Und Ihre persönliche Kochphilosophie?

Nur die besten Produkte sind gut genug.

Wir machen so viel wie möglich regional. Aber wir sind keine Extremisten. Ein Beispiel: Wir und unsere Gäste mögen Wagyu sehr gerne. Die beste Qualität gibt es nur in Japan, also beziehen wir das Fleisch auch dort.

Wer ist der wichtigste Mensch für Sie in Ihrem Betrieb?

Das ist sicher mein Vater. Er ist der Patron und die prägende Figur unseres Betriebs. Heute sind wir beide Chefs und haben auch die gleichen Verantwortlichkeiten. Natürlich sind wir auch Vater und Sohn. Wir sind aber sehr transparent. Wenn uns am anderen etwas nicht passt oder wir unterschiedlicher Meinung sind, sagen wir es uns direkt ins Gesicht. Aber wir beide suchen auch immer den Ausgleich. Denn wir wollen nicht, dass unser Menü aus Gerichten besteht, die einem von uns zugeordnet werden können. Die Harmonie ist absolut wichtig. Deshalb müssen wir uns am Schluss auf einen gemeinsamen Weg einigen. Das gelingt uns eigentlich ganz gut.

Was bereitet Ihnen bei Ihrer täglichen Arbeit am meisten Spass?

Dass jeder Tag anders ist als der vorangegangene. Und die Action. Es geht immer etwas bei uns.

Und was stresst Sie am meisten?

(Er lacht) Alles und nichts. Ich habe aber keinen Tiefenstress. Natürlich nerve ich mich, wenn mal ein Produkt nicht erhältlich ist. Oder ein Gast sehr kurzfristig absagt. Aber wenn mich einmal etwas richtig nervt, gehe ich eine Runde laufen, das holt mich runter.

Doch, etwas stresst. Manchmal haben wir hier im Sommer kurze Stromunterbrüche. Da kommen wir dann jeweils ein bisschen ins Schleudern.

Welches sind Ihre beruflichen Vorbilder?

(Er überlegt) So direkt habe ich keine Vorbilder oder Idole. Ich empfinde aber sehr viel Respekt für jene Chefs, die tun, was sie lieben – und dabei ihren eigenen Stil entwickelt haben und junge Köche wie mich prägen, fördern und weiterbringen. Natürlich ist mein Vater ein Vorbild. In vielem. Aber eigentlich bin ich immer meinen eigenen Weg gegangen.

Haben Sie denn Vorbilder in anderen Lebensbereichen?

Ich könnte jetzt sagen, dass Roger Federer ein Vorbild ist. Aber weniger, weil er ein Tennisstar ist. Sondern wie er sein Leben als Berufssportler und Familienmensch unter einen Hut bringt. Das beeindruckt mich schon.

Was kochen Sie am liebsten?

Ich liebe es, Risotto zu machen. Für uns und die ganze (Gross-)Familie. Risotto geht immer und überall. Und auf unterschiedlichste Arten: mit Artischocken, mit Trüffel, nur mit Butter und Parmesan. Risotto ist einfach und hochkomplex zugleich. Ich sage immer: Ein schlechter Koch macht niemals einen guten Risotto.

Und für wen kochen Sie am liebsten?

Für meine Frau und meinen Sohn und unsere Grossfamilie. Und natürlich alle unsere Gäste. Wenn ich da einen herauspicken müsste, wäre es Léonard Giannada (der Mäzen und Inhaber der Fondation Giannada in Martigny, Anm. der Red.). Er ist ein hochrespektabler Mann und respektiert und geniesst unsere Küche. Für ihn zu kochen macht mir immer Freude.

Welches Food Pair passt für Sie am allerbesten zusammen?

So viele Sachen passen wunderbar zusammen. (Denkt nach) Wir arbeiten gerade an einer Pasta, einem Raviolo mit Rindfleischfüllung. Dafür verwenden wir Sellerie, Ingwer und Rindfleisch. Das gibt zusammen eine wunderbare Geschmackskombination.

Was ist Ihr persönliches Lieblingsgericht?

Das sind «Koteletii», eine Spezialität aus der Ukraine. Meine Frau stammt von dort. Und sie macht mir diese ukrainischen Fleischklösschen, die sind himmlisch. Himmlische Hausmannskost. Wenn ich die esse, kommen mir immer schöne Erinnerungen.

Und was Ihre Henkersmahlzeit?

Kotelleti? (lacht, beginnt dann aber nachzudenken, und beginnt wieder zu lachen) Ich wäre jetzt schon tot, vor lauter Nachdenken. Nein, jetzt weiss ich’s: Ich würde ein Fondue essen. Das isst man nie allein. Und so käme ich nochmals mit anderen Menschen zusammen.

Welchen Geschmack oder welches Gewürz mögen Sie überhaupt nicht?

Ich esse alles und bin auch auf nichts allergisch. Aber es gibt einige Parfums, die mir zu stark sind. Das finde ich schwierig.

Was ist Ihr Signature Dish (oder für welches Gericht kommen Ihre Gäste extra zu Ihnen)?

Meine Teigwaren. Gefüllte Teigwaren. Variationen von gefüllten Teigwaren. Jeden Tag eine neue. Und meine Saucen.

Und möchten Sie irgendwann noch an einem anderen, ganz bestimmten (Sehnsuchts-)Ort leben und arbeiten?

Ich bin sehr wohl hier in der Waadt und möchte deshalb auch nicht weg.

Welche nationale Küche mögen Sie eigentlich am liebsten?

Die ukrainische Küche? Ja, die ukrainische (schmunzelt). Das freut meine Frau, wenn sie das liest.

Was war Ihre schlimmste Erfahrung in einer Küche?

Wie gesagt, die Stromausfälle im Sommer, wenn wir mitten in der Vorbereitung sind. Das ist schon ziemlich unangenehm. Zum Glück dauert das jeweils nur wenige Minuten.

Und Ihr grösstes Highlight in Ihrer bisherigen Karriere?

(lacht) Dafür bin ich noch etwas zu jung, oder? Aber als wir den Bernerhof in Gstaad eröffnet haben, war das schon toll. Wir haben sehr viel gearbeitet, und es funktionierte fast noch besser, als wir es erwartet hatten. Das war ein ziemlich gutes Gefühl.

Interview: Philipp Bitzer
Bilder: Salvatore Vinci


Ermitage des Ravet

Route du Village 26
1134 Vufflens-le-Château
+41 21 804 68 68
ermitage@ravet.ch
ravet.ch

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