Belgisch Koreanische Freundschaft

18. January 2019

Das St. Moritz Gourmet Festival wartete heuer mit einem äusserst spannenden Protagonisten aus Belgien auf: Sang-Hoon Degeimbre. Der gebürtige Koreaner ist als Junge von einer belgischen Familie adoptiert worden und kam mit seinem Bruder erst im Alter von fünf Jahren nach Europa. Im Rahmen des Festivals kochte der 49-Jährige als Gast von Chefkoch Rolf Fliegauf im Giardino Mountain in Champfèr. marmite traf den belgischen Ausnahmekönner (2 Michelin-Sterne und 19 GaultMillau-Punkte) im Anschluss an ein ausgezeichnetes Dinner zum kurzen Gespräch.

Hang-Soon Degeimbre, sind Sie zum ersten Mal im Engadin?

Ich bin tatsächlich das erste Mal hier.

Und was sind Ihre Eindrücke von dieser Region?

Ich denke, es ist ein sehr privilegierter Ort, der aber trotzdem ganz nahe an der Natur ist. Die erste Frage, die sich mir stellte war, wie man hier leben kann. Kann man ein Auskommen finden ausserhalb des Luxustourismus? Was macht man, wenn man nicht reich ist? Ich habe  immerhin in Erfahrung gebracht, dass es hier offenbar auch einige Köche gibt, die ausschliesslich mit lokalen Produkten auskommen. Das hat mich gefreut. Aber man muss immer auch hinter die Kulissen blicken, um den richtigen Wert einer Region zu entdecken. Dafür hatte ich schlicht keine Zeit.

Sie leben und kochen auf einem alten Gehöft südöstlich von Brüssel. Wie muss man sich Ihre Region vorstellen?

Unsere Region ist bekannt für ihre landwirtschaftlichen Produkte. Sie ist sehr fruchtbar und deshalb geprägt von grossen, industriell produzierenden Landwirtschaftsbetrieben. Ich selber konzentriere mich aber viel lieber auf kleine Nischenanbieter, die es zum Glück inzwischen auch gibt.

Sie haben auf ihrem Hof einen sagenhaften Garten und mehrere Gärtner, die diesen Garten zusammen mit Ihnen bestellen. Wie kam es dazu?

Ich startete im Juli 1997 mit dem ersten Restaurant – damals noch an einem anderen Standort als dem heutigen. Wir hatten unerwartet schnell Erfolg mit unserer Molekularküche. Dann lernte ich Benoit Blairvacq, meinen heutigen «Chefgärtner», kennen. Wir sprachen über die Küche, über seine Passion für das Gärtnern, und ich besuchte seinen damaligen Garten. Das war für mich ein Ereignis: Man muss sich vorstellen, zu dieser Zeit gab es praktisch keine kleinen Gemüsebauern hier, sondern nur riesige Betriebe, die in grossen Mengen für den Markt perfektioniertes Gemüse anbauten.

Benoit und ich begannen daraufhin, gemeinsam kleines Gemüse ganz nach unserem Geschmack zu produzieren. Ich muss vielleicht noch sagen, dass Benoit vorher in einer Versicherung tätig gewesen war und sich komplett neu ausrichten wollte. Wir hatten deshalb ursprünglich – ich war ja früher Sommelier – Pläne ausgeheckt, zusammen Wein zu machen. Weil wir aber schnell merkten, dass es viel einfacher ist, Gemüse zu ziehen als Trauben, ist daraus dann ein Garten geworden (lacht). Ich hatte am Anfang wirklich wenig Ahnung von der Sache. Aber in der Zwischenzeit habe ich doch ein bisschen dazugelernt.

Fermentieren scheint gut zu Ihrer (Koch-)Philosophie zu passen. Oder wie würden Sie das beschreiben?

Als wir unseren Garten hatten, merkte ich natürlich schnell, dass nur in bestimmten Zeiten bestimmtes Gemüse und bestimmte Kräuter und bestimmte Blumen wachsen. Ich wollte, dass wir unsere Produkte das ganze Jahr über anbieten können. Und die asiatische Küche bietet da einen hervorragenden Ausweg: Das Fermentieren. Das machen wir deshalb ziemlich systematisch und haben so das ganze Jahr über alles, was wir zum Kochen brauchen. Es ist also weniger eine Frage der Philosophie als eine der Logik.

Sie sind mit fünf Jahren zusammen mit Ihrem Bruder nach Belgien gekommen. Was ging in Ihnen damals vor?

Der Anfang war eine sehr intensive Phase. Ich sprach kein Französisch, ich sah anders aus, und ich spürte instinktiv, dass ich mich anpassen musste. Ich habe viel beobachtet und wenig gesprochen und fühlte mich wie ein Chamäleon, das sich der Umgebung anpassen muss. Meinem Bruder ging es ähnlich, wir waren sehr eng damals. Unsere Wege haben sich inzwischen leider etwas getrennt.

Welche Bilder aus Ihrer Kindheit in Belgien waren für Sie – wenn Sie heute zurückblicken – prägend?

Das stärkste Bild war der Moment des Essens: Als kleiner Junge war ich in Korea im Waisenhaus. Wir hatten wenig zu essen. Und es war nicht gut. Als ich nach Belgien kam, war alles anders. Es gab genug zu essen. Und es schmeckte auch – meistens zumindest. Aber was noch wichtiger war: Man ass zusammen. Es berührt mich heute noch, wenn Menschen gemeinsam essen. Auch wenn sie nicht miteinander sprechen, sprechen sie doch die gleiche Sprache – die Sprache des Essens.

2009 sind Sie zum ersten Mal nach Ihrer Ankunft in Belgien wieder in Südkorea gewesen. Was ging da in Ihnen vor?

Eigentlich hatte sich alles in mir gesträubt, bevor ich nach Südkorea flog. Aber tief in meinem Innersten wollte ich mehr über meine Wurzeln erfahren. Und in Erfahrung bringen, ob die südkoreanische Küche mir etwas bringen könnte. Also bin ich geflogen.

Ich hatte damals schon zwei Sterne bei Michelin und konnte mir nicht vorstellen, dass mich Korea weiterbringen könnte. Aber dann hat es mich komplett «umgehauen» (Degeimbre benutzt im Interview das Verb «frapper», was französisch «sehr stark berührt» heisst, Anm. der Red.). Ich sah die Landschaft, sog die Gerüche auf, und alles kam mir vertraut vor. Ich merkte auch, dass ich hier nicht anders angeschaut wurde als alle anderen. Ich war ein kohärenter Teil des Ganzen – eine Erfahrung, die ich seit vielen, vielen Jahren nicht mehr gemacht hatte. Alles war sehr familiär. Der Kontakt mit den Einheimischen und der koreanischen Küche hat mich viel stärker geprägt als je gedacht.

Und wie ist dieses Erlebnis in Ihre Küche eingeflossen?

Absolut: Ich hab zum Beispiel Kimchi entdeckt, also die koreanische Art des Fermentierens von Gemüse. Kimchi gehört in Korea zu jeder Mahlzeit und passt perfekt zu meiner Kochphilosophie. Ausserdem hat mich die Komplexität beeindruckt, mit der die Koreaner über ihr Essen nachdenken und kommunizieren. International mag die japanische Küche bekannter sein. Auch die chinesische Küche hat die Welt erobert. Dazwischen liegt Korea mit einer eigenständigen Küche, die man aber ausserhalb des Landes praktisch nicht kennt. Das mag damit zusammenhängen, dass man sich in Japan und China auf die eigenen Wurzeln besonnen hat, während sich Korea immer von seinen Nachbarländern beinflussen liess. Langsam gerät allerdings auch die koreanische Küche in den Fokus. Aber sie ist schwieriger zu verstehen.

Obwohl Sie nicht am Meer leben, fiel mir beim Dinner auf, dass in Ihrer Küche das Meer eine grosse Rolle spielt. Wie kommt das?

(Schmunzelt) Man denkt oft an Dinge, die einem fehlen. Ich bin wohl auch ein bisschen neidisch auf meine Kollegen, die am Meer leben und sich daraus bedienen können. Ich habe sehr viele lokale Produzenten, die mich mit allem beliefern. Fleisch, Käse, Wein und vieles mehr. Aber im Bereich Fisch habe ich bloss einen einzigen Lieferanten, und der liefert mir gerade mal Forelle. Da will man schon einmal ausbrechen.

Sie spielen auch mit den Essgewohnheiten Ihrer Mitbürger, wenn ich da zum Beispiel an Ihr Amuse-Bouche denke, wo sie Moules et frites quasi ad absurdum führen…

… ja, das Nationalgericht Belgiens. Es hat mich immer gestört, dass man nicht alles davon essen kann. Deshalb habe ich eine Muschelschale kreiert, die aus frittierter Kartoffel gemacht ist und die man natürlich ebenfalls essen kann.

Ihr Zander mit Asche, Lakritze und Auberginen ist eine Offenbarung. Wie kamen Sie auf dieses Rezept?

Ich experimentiere gerne mit Geschmackskombinationen und mit den Farben auf dem Teller. Und irgendwann kam der Momente, wo ich noch einen Schritt weitergehen wollte. Ich wollte ein reines Schwarz-Weiss-Gericht machen. Zum weissen Zander bot sich die schwarze Asche geradezu an. Ausserdem wollte ich beim Essenden eine Geschmackexplosion bewirken. Der saftige Fisch kontrastiert mit der trockenen Asche. Und als «Bindeglied» habe ich mich für Lakritze entschieden. Ich liebe Lakritze, schon seit meiner Kindeheit. Es ist süss und salzig gleichzeitig. Es ist kühl und warm. Und es funktioniert wie Pfefferminze, die auf magische Weise alle Sinne gleichzeitig weckt.

Was ist Kochen für Sie, Kunst oder Handwerk?

Reines Handwerk. Die Kunst entsteht höchstens im Auge des Essenden.

Gibt es eine Delikatesse, die Sie für komplett überflüssig halten in einer guten Küche?

Alles ist spannend. man muss nur etwas draus machen.

Was ist Ihr Lieblingsgericht?

Ich liebe einfache Sachen. Mit einfachen, aber guten Produkten. Ich esse oft allein. Da muss es schnell gehen.

Gibt es ein Gewürz / einen Geschmack, den Sie nicht mögen und der niemals in Ihrer Küche verwendet würde?

Safran. Ich weiss zwar, dass man schöne Dinge damit machen kann. Die Farbe ist hinreissend, aber ich mag den Geschmack überhaupt nicht.

Was ist Ihrer Meinung nach das beste Food Pair überhaupt?

Es gibt unglaublich viele wirklich gute Pairs. Wenn ich wählen müsste, wären es vielleicht Kiwi und Austern. Niemand würde denken, dass das zusammenpasst. Und dann sagen alle «Oh, das schmeckt aber lecker.» Auch Kaviar mit weisser Schokolade übrigens.

Wo muss Liebe einfliessen, damit eine Küche gut ist?

Liebe ist ein Teil der Küche. Kochen ist Liebe. Noch einmal. Ich esse oft alleine. Und da frage ich mich zuweilen, ob ich mich allenfalls selbst nicht so liebe, wie ich das sollte. Denn gut ist ein Essen eigentlich nur dann, wenn man es mit jemandem teilen kann.

Wenn Sie von einem jungen Menschen gefragt werden, ob er bei Ihnen in die Lehre kommen kann, was sagen Sie ihm dann?

Ich sage ja. Wenn jemand schon so weit ist und sich traut, mich persönlich anzusprechen, hat er oder sie sich die wichtigen Fragen schon gestellt. Natürlich geht es dann ans Eingemachte. Man muss viel lernen. Aber die Grundvoraussetzung ist sicher schon erfüllt.

Können Sie sich vorstellen, anderswo als in Belgien zu leben und zu kochen?

Kochen ist nicht an Grenzen gebunden. Kochen ist ja nichts Anderes als eine Transformation von Produkten. Deshalb könnte ich meine Arbeit theoretisch überall machen. Aber ich liebe meine Region. Und ich muss mit ihr verbunden sein, um wirklich gute Arbeit zu machen.

Interview: Philipp Bitzer

 

Sang-Hoon Degeimbre

Der gebürtige Koreaner Sang-Hoon Degeimbre wuchs in einem koreanischen Waisenhaus auf, ehe er als fünfjähriger Junge zusammen mit seinem Bruder von einer belgischen Grossfamilie adoptiert wurde und nach Belgien kam. Nach dem Studium der Pharmazeutik zog es ihn in die Gastronomie, wo er zunächst mehrere Jahre und sehr erfolgreich als Sommelier tätig war. Im Juli 1997 eröffnete er zusammen mit seiner Partnerin Carine Nosal das «Air du temps» im belgischen Weiler Noville sur Mehaigne, wo er von Anfang an am Herd stand und seine zusammen mit Hervé Thys kreierte Molekularküche weiterentwickelte. Bereits im dritten Jahr erhielt das Air du temps seinen ersten Michelin-Stern. Die Begegnung mit dem ehemaligen Versicherungsfachmann und begeisterten Gärtner Benoit Blairvacq führte zu einem Stilwandel in der Küche des Air du temps: Nicht mehr die Technik stand fortan im Vordergrund, sondern die Natur. Degeimbre setzte verstärkt auf Gemüse und Kräuter, die sein Team unter der Leitung von Blairvacq grösstenteils im eigenen Garten anbaut und die seine Kreationen geschmacklich und auch farblich auf ein neues Niveau hoben. Degeimbre erhielt 2008 den zweiten Michelin-Stern, den man auch am neuen, fünf Hektaren grossen Standort in Liernu – der Umzug erfolgte 2013 – behielt, und dies bis heute (zusammen mit 19 Punkten von GaultMillau). marmite traf den belgischen Ausnahmekönner am diesjährigen St. Moritz Gourmet Festival, wo er als Gastkoch von Rolf Fliegauf im Giardino Mountain in Champfèr kochte.

L’AIR DU TEMPS

Rue de la Croix Monet, 2
B- 5310 Eghezée (Liernu)
T. +32 81 81 30 48
F. +32 81 81 28 76
resto@airdutemps.be
www.airdutemps.be
Montag, Dienstag und Samstagmittag geschlossen

Sang-Hoon Degeimbres Menü am St. Moritz Gourmet Festival, gekocht im Giardino Mountain in Champfèr am 16. Januar 2019:

Amuse bouches:

Moules & Frites
Miesmuschel / Kartoffeln

Caviar & Purée de pommes de terre
Belgischer Kaviar / Kartoffelstock

6-Gang-Menü:

Surf & Turf
Sellerie / Königskrabbe / Kardamom
Weinempfehlung: Grandes Enclos, Château de Cérons, Graves, Bordeaux (Frankreich)
Sémillon/Sauvignon Blanc, 2015

50/50
Zweite Vorspeise mit Foie gras, unterschiedlich interpretiert durch Rolf Fliegauf (Ecco) und Sang-Hoon Degeimbre
Weinempfehlung: Pinot Grigio Alto Adige Porer DOC, Tenuta Lageder, Trentino (Italien)
Pinot Grigio, 2016

Liernu
Saisongemüse / Grünes Öl / Lacto Jus
Weinempfehlung: Le Haut-Lieu Sec, Domaine Huet, Vouvray, Loire (Frankreich)
Chenin Blanc, 2017

Asche
Zander / Asche / Lakritze
Weinempfehlung: Châteauneuf-du-Pape Vieux Télégraphe la Crau AC, Côtes-du-Rhône (Frankreich)
Grenache, Mourvèdre, Syrah, Cinsault, Clairette, 2014

Béarnaise
Simmentaler Rind / Jagajji Tomaten / Estragon
Weinempfehlung: Ca’ del Bosco Curtefranca rosso, Ca’ del Bosco, Lombardei (Italien)
Cabernet Franc, Cabernet Sauvignon, Merlot, Barbera, Nebbiolo, 2015

Sweet & Sour
Quitte / Topinambur / Grünes Curry
Weinempfehlung: Riesling Auslese Goldkapsel Brauneberger Juffer Sonnenuhr, Mosel (Deutschland)
Riesling, 2017

Könnte dir auch gefallen

Die junge Garde glänzt auf dem Sonnenberg

Mar. 2024

Unsere ausführlichste Restaurantkritik ist immer einem Mitglied der marmite-youngster-Community gewidmet – diesmal sind es sogar zwei.

Unsere ausführlichste Restaurantkritik ist immer einem Mitglied der marmite-youngster-Community gewidmet – diesmal sind es sogar zwei.

Gastgeberin mit bewegter Geschichte

Mar. 2024

Marlene Halter, Germanistin und Köchin, gut bekannt aus dem Restaurant Metzg in Zürich, ist mutig. Als angehende Bäuerin,...

Marlene Halter, Germanistin und Köchin, gut bekannt aus dem Restaurant Metzg in Zürich, ist mutig. Als angehende Bäuerin, packt sie an, was bei vielen nur ein Traum bleibt: Sie erfüllt sich damit ihren Kindheitswunsch.

«Früher war ich voller Hass, heute bin ich voller Liebe»

Mar. 2024

Jordnær-Mastermind Eric Vildgaard über seine Wandlung vom Gangster zum Starkoch, sein Leben als Vater von sechs Kindern und...

Jordnær-Mastermind Eric Vildgaard über seine Wandlung vom Gangster zum Starkoch, sein Leben als Vater von sechs Kindern und die Liebe zu seiner Frau Tina.