Germann allein zu Haus

11. September 2025

Kartonbett, Kochinsel, Kindheitserinnerungen: Zu Besuch in der neuen Wohnung des Zweisternekochs vom Mammertsberg.

Einzig der Casserolier weiss, wo Silvio Germann wohnt. «Er hat mir beim Umzug geholfen», erklärt der Zweisternekoch vom Restaurant Mammertsberg im Thurgau. «Der Rest des Teams kennt den Wohnort noch nicht und das ist gerade okay für mich.» Er werde die Mannschaft dann schon noch zu sich nach Hause einladen und bekochen. Etwas mehr als einen Monat ist es erst her, als Germann aus der gemeinsamen Wohnung mit seinem Sommelier Giuseppe Lo Vasco ausgezogen ist. Eigentlich wäre der Plan ja gewesen, über das Leben in der Jungs-WG zu berichten. Über den mitternächtlichen Pastaplausch mit einem Glas Champagner nach dem Service. Über den Blick aus der Wohnung direkt aufs eigene Restaurant. Über die Rollenverteilung und Ämtli zu Hause.

Germann grinst, wenn er an die Zeit zurückdenkt. Er und Lo Vasco sind Freunde. Teilten daheim nicht nur Wohn- und Badzimmer, sondern auch Humor und die Liebe zum Fussball. Dennoch: Germann ist happy über sein neues Zuhause. «Ich geniesse den Rückzugsort. Die Ruhe nach der Arbeit. Und die Distanz zum Betrieb. Auch wenn es nur eine Viertelstunde mit dem Auto ist. Die kurze Fahrt hilft beim Abschalten und die physische Distanz ebenso.» Dass es so weit kam, liegt daran, dass Lo Vasco mit seiner Partnerin zusammengezogen ist.

Das Loft mit Dachschräge ist minimalistisch eingerichtet. «Ich mag diese offenen Wohnräume ohne Türen und mit viel Licht.» Eine Matratze auf einem Kartonbett – stylish und praktisch. «Ich schlafe darauf unglaublich gut.» Room in a Box heisst das nachhaltige Produkt. Ein schlankes TV-Gerät auf einem feingliedrigen, dreibeinigen Ständer. «Den Fernseher bräuchte ich nicht mal, aber er gibt dem Raum etwas Wohnliches.» Eine Chaiselongue in Taubenblau. «Ein Sofa für zwei Personen wäre eigentlich auch nicht schlecht.»

Der Blickfang schlechthin ist die Insel mitten in der Wohnung. Sie ist Arbeitsfläche und Hochtisch zugleich. Je nach Tageszeit und Witterung wird sie durchs Dachfenster oder von der Industrielampe, die von der Decke hängt, beleuchtet. «Die Lampe habe ich selbst montiert und den Tisch selbst zusammengebaut», sagt Germann lachend mit Stolz und fügt an: «Darin bin ich wirklich schlecht.» So sehr sich der Gourmetchef mit Kochrezepten auseinandersetzen mag, so ungeduldig zeigt er sich beim Durchlesen einer Montageanleitung. «Als ich zuletzt die Platte anbringen wollte, stellte ich fest, dass ich die allererste Wand falsch montiert hatte.» Zurück auf Feld eins.

Während er auf der nun perfekt angebrachten Platte die Frühlingszwiebel für seine sommerliche Pfirsich-Burrata schnippelt, verrät der Innerschweizer, dass die Dachwohnung nicht nur aus ästhetischen Gründen so schlicht eingerichtet ist. «Ich bin hier nur von Mittwoch bis Sonntag. Und fast nur zum Schlafen.» Die beiden freien Tage verbringt er in Bad Ragaz, wo er mit Partnerin Monja eine Wohnung teilt. Oft nimmt er die Dreiviertelstunde Autofahrt am späten Sonntagabend nach seinem letzten Service in Angriff. «Manchmal dauert die Fahrt deutlich länger. Wenn ich müde bin, mache ich eine Pause und schlafe im Auto, bis ich wieder von selbst erwache. Da bin ich konsequent, auch wenn ich gerne längst in Bad Ragaz im Bett wäre.»

Einmal gemeinsam kochen, einmal auswärts gehen – so lautet der Deal zwischen Germann und seiner Partnerin für die beiden Abende, an denen der Koch des Jahres 2024 nicht in der Mammertsberg-Küche steht. «Miteinander einkaufen gehen, in der Küche stehen, kochen, dabei einen Aperol Spritz trinken und reden, das ist was Schönes.» Hausgemachte Tagliatelle oder Ravioli, ein Fisch in der Salzkruste oder eine ganze Haxe – so kocht Germann privat. Mit Geduld? «Ja, nur das Gemüse schnetzle im Normalfall ich, dann geht es schneller.» Und wenn die Gäste Andreas und Sarah Caminada heissen: Was gibt es dann zu essen? «Beim letzten Mal machten wir Flammkuchen mit Périgordtrüffel, dann Kalbshaxen mit Kartoffelgratin und zum Dessert eine Tarte Tatin. Andreas brachte eine Flasche Dom Pérignon mit.» Nervös mache ihn das nicht, wenn sein einstiger Förderer und heutiger Geschäftspartner – sie sind Co-Pächter im Mammertsberg – auf Besuch kommt. «Eher dann, wenn er bei mir im Restaurant isst.»

Germann liebt es, Gäste kulinarisch zu verwöhnen. So kennt er es schon von seinem Elternhaus. «Meine Mutter kochte täglich frisch, auch einen Pizzaholzofen hatten wir», erinnert er sich. «Sie kocht sehr gern und sehr gut und ist eine grossartige Gastgeberin. Es ist diese Freude, anderen eine Freude zu bereiten. Das wurde mir zu Hause vorgelebt.» Wohl auch deshalb glaubt Germann, dass ein besonders herzlicher Gastgeber im Restaurant vielleicht sogar wichtiger sei als die Perfektion auf dem Teller. «Christian Gujan im Glouglou in Luzern begegnet jedem Gast so schön auf Augenhöhe. Ines Triebenbachers gute Laune steckt jeden im Zürcher Igniv an. Francesco Benvenuto damals im Igniv Bad Ragaz – ich liebte es, aus der Küche zu schielen und ihm zuzuschauen, wie er sich ums Wohl der Gäste kümmerte. Oder Carl Frosterud, der uns im Frantzén in Stockholm bediente: Ich glaube, der hätte mir alles auf dieser Welt verkaufen können.» Dann fügt er an: «Und natürlich Giuseppe im Mammertsberg, er ist fantastisch.»

Antipasti aus Peperoni und Aubergine, eben die Pizza oder auch mal Kaninchen: Es sind die Kindheitserinnerungen aus der Küche von Mama Germann. «Ich mochte eigentlich alles. Ausser diese Lauchrolle mit Schinken und Cremesauce. Aber das gestand ich meiner Mutter erst vor zwei, drei Jahren.» Lacht herzhaft und zieht das Blech mit den Taschenbroten aus dem Ofen. «So, das gibt einen leckeren Döner.» Darf es beim Spitzenchef aber auch mal so richtiger Junk-Food sein? «Ja, sicher. Erst vor drei Wochen gab es Chicken Nuggets von McDonald’s, und ja, ich habe eine grosse Schwäche für saure Gummibärli.» Ach ja, wo Silvio Germann wohnt: in Rorschach, quasi direkt am Bodensee. So viel sei seiner Mammertsberg-Equipe verraten.

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