Ein Wagnis, das begeistert 

5. Juni 2025

Manuel Zünd wagt im Atelier Vert, dem Fine-Dining-Lokal des Hotels Alpengold in Davos, Bemerkenswertes: Er kocht rein vegetarisch und sucht sich die Produkte dafür zu fast 100 Prozent innerhalb der Grenzen Graubündens. Sehr viel Storytelling und nicht sehr viel Vergnügen, könnte man da befürchten. Doch das Gegenteil ist der Fall!

Zum Start in den Abend gibt’s einen erfrischenden, dezidiert süss­ sauren Quitten­-Spirulina­-Kombucha. Die Süsswasseralgen züchten Zünd und sein Team in einem Tank in der offenen Küche, die Quitten haben sie in der Nähe von Küblis gesammelt. «Der Kombucha – wir nennen ihn Neutralizer – ist dafür da, die Geschmacksknospen auf die folgen­den sieben Gänge vorzubereiten», erklärt der Chef, der 2022 mit der Schweizer Kochnationalmannschaft in Luxemburg den Culinary World Cup gewann. 

Der erste Gang trägt den kryptischen Namen Marie & Jana. Eine An­spielung auf eine seiner Zutaten: Berghanf. «Aber keine Sorge, es ist kein THC drin», sagt Zünd und lacht. Vom Hanf aus Zizers ver­wendet er für das ausgezeichnete kleine Gericht im Hotelkeller ge­presstes Öl und geröstete Samen. Die Basis bilden ein harter Roggen­-Taco, der mehr ist als nur eine Hülle, de­hydrierter Kürbis vom Biohof Dusch und gebeiztes Eigelb, die Dekoration Kornblumen aus dem eigenen Garten. Es folgt eine kulinarische Liebeserklärung an ein fast vergessenes und seit ein paar Jahren wieder an­ gepflanztes Kulturgut Graubündens: die Bergackerbohne. Zu Sauerteig­brot aus Bergackerbohnenmehl reicht der Service Bergackerbohnen­-Hummus und Butter mit Bergackerbohnen­-Miso. Das Grund­produkt stammt vom Hof Las Sorts im Albulatal, wo Marcel Heinrich eben nicht nur seine berühmten Bergkartoffeln anbaut. Der nächste Gang dreht sich ganz um die Produk­te von Jürg Adanks kleinem Bio­-Bauernhof im Weinbau­-Dorf Fläsch. Es ist ein fluffig-­weicher Bao­-Bun mit süsslichem Safran­-Senf, Polenta und Popcorn­-Crumble. Kleiner Kritik­punkt: Mit einem Klacks Sauerrahm oder einer anderen cremigen Kompo­nente hätte es uns noch besser ge­schmeckt. 

Unser Liebling im Menü ist ausgerechnet jenes Gericht, das Manuel Zünd am meisten Kopf­ zerbrechen bereitet hat: die Lauch­essenz mit Lauch­-Kimchi (der Lauch kommt zu gleichen Teilen aus dem Hotelgarten und vom Biohof Dusch), Bündner Arve, aromatischem, safti­gen Gersten-­Tempeh und einem Lauch­-Chip mit gepuffter Gerste. Der Arvenrauch ist gut herauszu­schmecken, last den anderen Aro­men aber genügend Raum. Nun be­kommen die Bergkartoffeln vom Hof Las Sorts ihren grossen Auftritt. Die Sorten Blaue Anneliese und Heidel­rot gibt es so naturbelassen wie mög­lich (in der eigenen Erde gegart!), aus Prättigauer Kartoffeln hat die Küche einen luftigen Gnoccho hergestellt. Der Clou ist aber der Side Dish: Käseschaum mit einem Püree aus Red­-Love­-Äpfeln und gerösteten Zwiebeln. Wow! 

Dass veganer Käse durchaus Freude bereiten kann, beweist Manuel Zünd mit einer Variante aus fermentierten Baumnüssen. Dazu gibt es ebenfalls selbstgemachten Blauschimmelkäse auf Camembert-­Basis, reinen Alpenrosenhonig (eine Rarität!), schwarze Nüsse und ein Gelee aus Dioli, der Bündner Antwort auf Portwein. Sehr gewagt – und sehr, sehr gut: das Pré-­Dessert, bestehend aus thermophil fermentiertem und deshalb schwarzem Sellerie, Hafer­ Crumble, Sellerie­-Crème, gefrier­getrockneten Kirschen und Balsam­essig. Daneben ein Glas Rötheli zum Abschmecken. Den Schlusspunkt setzt eine hinreissende Kombination von Quittenkompott, erfrischender Quitten­-Kombucha-­Glace, ultra-­luf­tigem Marronischaum, Meringue und Eichel-Chips (durch Einlegen in Natron werden Eicheln geniessbar).

Atelier Vert
Im Hotel Alpengold Baslerstrasse 9
7260 Davos alpengoldhotel.com 

marmite 1/2025

Fotos: ZVG

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