Ein Wagnis, das begeistert

Manuel Zünd wagt im Atelier Vert, dem Fine-Dining-Lokal des Hotels Alpengold in Davos, Bemerkenswertes: Er kocht rein vegetarisch und sucht sich die Produkte dafür zu fast 100 Prozent innerhalb der Grenzen Graubündens. Sehr viel Storytelling und nicht sehr viel Vergnügen, könnte man da befürchten. Doch das Gegenteil ist der Fall!
Zum Start in den Abend gibt’s einen erfrischenden, dezidiert süss sauren Quitten-Spirulina-Kombucha. Die Süsswasseralgen züchten Zünd und sein Team in einem Tank in der offenen Küche, die Quitten haben sie in der Nähe von Küblis gesammelt. «Der Kombucha – wir nennen ihn Neutralizer – ist dafür da, die Geschmacksknospen auf die folgenden sieben Gänge vorzubereiten», erklärt der Chef, der 2022 mit der Schweizer Kochnationalmannschaft in Luxemburg den Culinary World Cup gewann.

Der erste Gang trägt den kryptischen Namen Marie & Jana. Eine Anspielung auf eine seiner Zutaten: Berghanf. «Aber keine Sorge, es ist kein THC drin», sagt Zünd und lacht. Vom Hanf aus Zizers verwendet er für das ausgezeichnete kleine Gericht im Hotelkeller gepresstes Öl und geröstete Samen. Die Basis bilden ein harter Roggen-Taco, der mehr ist als nur eine Hülle, dehydrierter Kürbis vom Biohof Dusch und gebeiztes Eigelb, die Dekoration Kornblumen aus dem eigenen Garten. Es folgt eine kulinarische Liebeserklärung an ein fast vergessenes und seit ein paar Jahren wieder an gepflanztes Kulturgut Graubündens: die Bergackerbohne. Zu Sauerteigbrot aus Bergackerbohnenmehl reicht der Service Bergackerbohnen-Hummus und Butter mit Bergackerbohnen-Miso. Das Grundprodukt stammt vom Hof Las Sorts im Albulatal, wo Marcel Heinrich eben nicht nur seine berühmten Bergkartoffeln anbaut. Der nächste Gang dreht sich ganz um die Produkte von Jürg Adanks kleinem Bio-Bauernhof im Weinbau-Dorf Fläsch. Es ist ein fluffig-weicher Bao-Bun mit süsslichem Safran-Senf, Polenta und Popcorn-Crumble. Kleiner Kritikpunkt: Mit einem Klacks Sauerrahm oder einer anderen cremigen Komponente hätte es uns noch besser geschmeckt.
Unser Liebling im Menü ist ausgerechnet jenes Gericht, das Manuel Zünd am meisten Kopf zerbrechen bereitet hat: die Lauchessenz mit Lauch-Kimchi (der Lauch kommt zu gleichen Teilen aus dem Hotelgarten und vom Biohof Dusch), Bündner Arve, aromatischem, saftigen Gersten-Tempeh und einem Lauch-Chip mit gepuffter Gerste. Der Arvenrauch ist gut herauszuschmecken, last den anderen Aromen aber genügend Raum. Nun bekommen die Bergkartoffeln vom Hof Las Sorts ihren grossen Auftritt. Die Sorten Blaue Anneliese und Heidelrot gibt es so naturbelassen wie möglich (in der eigenen Erde gegart!), aus Prättigauer Kartoffeln hat die Küche einen luftigen Gnoccho hergestellt. Der Clou ist aber der Side Dish: Käseschaum mit einem Püree aus Red-Love-Äpfeln und gerösteten Zwiebeln. Wow!

Dass veganer Käse durchaus Freude bereiten kann, beweist Manuel Zünd mit einer Variante aus fermentierten Baumnüssen. Dazu gibt es ebenfalls selbstgemachten Blauschimmelkäse auf Camembert-Basis, reinen Alpenrosenhonig (eine Rarität!), schwarze Nüsse und ein Gelee aus Dioli, der Bündner Antwort auf Portwein. Sehr gewagt – und sehr, sehr gut: das Pré-Dessert, bestehend aus thermophil fermentiertem und deshalb schwarzem Sellerie, Hafer Crumble, Sellerie-Crème, gefriergetrockneten Kirschen und Balsamessig. Daneben ein Glas Rötheli zum Abschmecken. Den Schlusspunkt setzt eine hinreissende Kombination von Quittenkompott, erfrischender Quitten-Kombucha-Glace, ultra-luftigem Marronischaum, Meringue und Eichel-Chips (durch Einlegen in Natron werden Eicheln geniessbar).
Atelier Vert
Im Hotel Alpengold Baslerstrasse 9
7260 Davos alpengoldhotel.com
marmite 1/2025
Fotos: ZVG
Könnte dir auch gefallen
«Da, wo ich hinwollte»
Mai. 2025
Jérémy Desbraux führt im jurassischen Niemandsland mit seiner Partnerin das Zweisternerestaurant Maison Wenger. Er weiss, wie er Gäste von weit her anlockt.
Der Getriebene
Mai. 2025
«Das war vielleicht ein bisschen viel Information, na?» Die Fassproben, die Degustation und die vielen Erklärungen sind eine Lehrstunde für jeden Weingeniesser.
Bescheidener Überflieger
Apr. 2025
So jung von Erfolg zu Erfolg: Marco Campanella heimst eine Auszeichnung nach der anderen ein. Im Sommer in Ascona, im Winter in Arosa. Doch auch beim Koch des Jahres lief nicht immer alles rund.


Profis profitieren mit dem Kombiabonnement
Wir bieten Inhalt für Anspruchsvolle. Bestellen Sie noch heute Ihr Jahresabonnement!
Jetzt bestellen