«Frauen degustieren anders»

11. September 2025

Julie Cavil ist Kellermeisterin bei der berühmten Maison Krug. Im marmite-Interview spricht sie über ihren Führungsstil, die Krug-Magie und erklärt, weshalb sie nicht gerne über ihre Rolle als Frau in der Männerwelt spricht.

Marmite: Julie Cavil, heute sind Sie Kellermeisterin bei Krug – was war Ihr Ziel 2006, als Sie als Quereinsteigerin in diesem Prestigehaus starteten?

Julie Cavil: Hätten Sie mir damals gesagt, dass ich dereinst Kellermeisterin sein werde, hätte ich es nicht geglaubt. Ich erinnere mich, dass ich damals ein wenig Angst hatte, dass hinter den Kulissen doch nicht alles so magisch ist. Sehr schnell erlebte ich aber zwei, drei Momente, die mir bewiesen: Die Magie ist echt.

Wie ist das eigentlich, wenn Sie eine neue Cuvée herausbringen und Sie quasi Ihr Baby der Öffentlichkeit präsentieren?

Ich sehe das ganz entspannt. Ich trage die Verantwortung ja nicht alleine. Ich kriege zwar jeweils den Applaus, aber wir sind ein Team, in dem jeder Entscheidungen trifft. Ich stecke quasi die Flagge auf den Gipfel, aber den Aufstieg realisieren wir gemeinsam.

Sie sind seit sechs Jahren Kellermeisterin: Wie sieht Ihr Alltag aus?

Ich liebe jeden Tag. Wir sind ein kleines Team, wir sind alle polyvalent. Bei mir zeigt sich das nur schon an der Schuhsammlung in meinem Auto, da hat es Schuhe für allerlei Situationen. Ich starte mit einem Kaffee mit dem Team in den Tag. Dann bin ich mal im Rebberg, mal im Keller, mal bei den Finanzen, mal bei einem Projekt. Meetings, Degustationen, Führungen. Immer mit einem Auge in die Vergangenheit und einem in die Zukunft. In meinem Team hat es gewiss Menschen mit mehr Wissen als ich. Ich bin die, die inspiriert, die quasi Öl ins Getriebe schmiert, die motiviert.

Als Kellermeisterin eines Traditionshauses: Geht es vor allem darum, zu schauen, dass alles so bleibt, wie es schon immer war? Oder wo können Sie selbst etwas bewegen?

Menschen glauben oft, Kontinuität bedeute, nichts zu verändern. Wer aber nichts verändert, verstaubt. Wir mussten uns deshalb schon mal fragen: Was in unserem Schaffen zielt wirklich auf die Einzigartigkeit von Krug hin? So lernten wir, alle Prozesse zu optimieren, um noch klarer für die Vision unseres Hauses hinzuarbeiten. Nehmen wir das Thema Klimawandel. Jahr für Jahr stiegen die Temperaturen bei der Gärung. Die steigende Trockenheit führte zu Schäden bei den Fässern und somit zum Verlust von Saft. Und so weiter. Wenn wir uns daran gewöhnen, wird es zur Norm und damit zu einer Abweichung von unserem Standard. Und schon ist man ziemlich weit weg von dem, was wir eigentlich tun und sein möchten. Deshalb ging es darum Prozesse zu finden, die es der nächsten Generation erlaubt, weiterhin kompromisslos den Krug-Stil in die Flaschen zu bringen.

Sie mögen Fragen rund um Sie als Frau in der von Männern dominierten Weinwelt nicht. Weshalb?

Ich finde es sehr wichtig, dass über Frauen im Business geredet wird. Wenn man in unserer Kultur etwas verändern will, muss man das tun. Das Ding ist aber: Ich bin mit drei Brüdern aufgewachsen. Vielleicht bin ich es deshalb immer schon gewohnt, mich in einem von Männern dominierten Umfeld zu behaupten. Ich hatte sicher gewisse Schwierigkeiten in meinem Berufsleben, aber mir kam nie der Gedanke, dass dies damit zu tun haben könnte, dass ich eine Frau bin. Der einzige Ort, an dem mir beruflich der Unterschied zwischen Mann und Frau auffällt, ist der Degustationsraum: Männer und Frauen haben da unterschiedliche Arten, sich auszudrücken. Frau zeigen sich da empathischer. Ich habe mal in einem Podcast gehört, dass Frauen empathischer seien, weil sie sich in der Schwangerschaft während neun Monaten gewohnt waren, für zwei Menschen zu leben, zu denken, zu essen, zu entscheiden. Ein spannender Gedanke, wobei ich nicht weiss, ob er wissenschaftlich belegt ist. Sicher ist aber: Je mehr Empathie man besitzt, umso weicher drückt man sich aus, zumal man sich besser in die Rolle eines anderen Menschen versetzen kann.

Welche Flasche von einer anderen Maison würden Sie jetzt gerne bestellen?

Es wäre eine Flasche von Charles Heidsieck, diese Maison mag ich sehr. Aber ich trinke Wein so, wie ich meine Ferien buche: Ich bin so neugierig, sodass ich nie zweimal an den gleichen Ort reise. Ich will ständig Neues entdecken.

marmite 04/25

Interview: Benny Epstein

Bilder: ZVG

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