Redzepi zu Besuch bei Caminada

12. September 2019

Anfang September fand im bündnerischen Fürstenau der «Future Dialog 2019» statt. Regionale und internationale Spitzenköche diskutierten dabei unter der Leitung von graubündenViva und Sternekoch Andreas Caminada über künftige Formen der regionalen Nahrungsmittelproduktion. Star der Veranstaltung war René Redzepi, Gastgeber im Kopenhagener Noma und dreifacher Sieger des World’s 50 best Restaurants Award.

René Redzepi, was sahen Sie, als Sie heute morgen im Schloss Schauenstein aufwachten und aus dem Fenster blickten?

Ich sah als erstes das Gebäude gegenüber, die Casa Caminada, und einen stahlblauen Himmel.

Und was ging Ihnen da durch den Kopf?

Dass wir, meine Frau Nadine und ich, heute Nacht bei offenem Fenster geschlafen haben. Das ist für uns total unüblich. In Kopenhagen ist es dafür viel zu laut. Ausserdem war es deutlich kälter als in Dänemark.

Das hat sie aber nicht gestört …

… im Gegenteil, wir haben geschlafen wie die Murmeltiere. Die tiefen Temperaturen und die Nässe führten ausserdem dazu, dass es am gestrigen Genussmarkt hier zwar viele, aber nicht zu viele Leute hatte. Das fanden wir ziemlich angenehm. Auch wenn sich die Organisatoren wohl besseres Wetter gewünscht hätten.

Produkte direkt von Mutter Natur.

Sie sind zum ersten Mal bei Andreas Caminada?

Ja, wir sind zum ersten Mal hier. In der Schweiz war ich erstmals als Kind. Ein entfernter Verwandter lebte hier. Er muss Schreiner oder etwas ähnliches gewesen sein, denn ihm fehlten ein paar Finger. Zwei Cousins, mit denen ich losen Kontakt habe, wohnen heute noch in der Schweiz.

Wie finden Sie denn das Schloss Schauenstein?

Es ist schon aussergewöhnlich hier, ein richtiges kleines Dorf. Nein, was sage ich da (lacht). Es ist ja die kleinste Stadt der Welt, wie ich gelesen habe. Andreas Caminada hat wirklich etwas Magisches geschaffen. Man spürt, dass er seine Umgebung respektiert. Und dass er von seiner Umgebung respektiert wird. Das macht Eindruck.

Sie haben hier zwei Tage über die Zukunft der Region Graubünden debattiert. War es nicht schwierig, in dieser historischen Umgebung über Künftiges zu reden?

Nein, überhaupt nicht. In diesen Mauern und in dieser Landschaft steckt so viel positive Energie. Das beflügelt einen, an morgen und übermorgen zu denken. Diese Kraft ist auch in unsere Diskussion eingeflossen.

Veredelung von lokalen Erzeugnissen als Erfolgsfaktor.

Über welche Themen haben Sie denn überhaupt debattiert?

Graubünden hat offenbar zwei Hauptprobleme: die Abwanderung und die Klimaveränderung. Wir diskutierten darüber, wie man dieser Region langfristig helfen kann. Ein Wunsch der Event-Verantwortlichen ist die Durchführung eines jährlichen Food-Symposiums.

Aus welchem Anlass?

Ein Symposium könnte langfristig dazu beitragen, die lokale Produktion und den Vertrieb von Nahrungsmitteln nachhaltiger zu gestalten. Wir haben deshalb in erster Linie darüber gesprochen, wie es heute in Graubünden ist. Wer von wem abhängt und was man verändern müsste oder könnte, um umweltfreundlicher zu produzieren. Wir haben für das Symposium quasi den Trailer gemacht. Den Film müssen nun die lokalen Akteure produzieren.

Wo sehen Sie die grössten Schwierigkeiten bei der Umsetzung?

Jedem von uns Teilnehmern ist irgendwann klar geworden, dass wir auf einem Planeten leben, der brennt. Deshalb wollen wir ja auch alle wissen, was wir besser machen können. Doch wir sind ziemlich verwirrt, denn wenn man genauer hinschaut, entdeckt man, dass das viel komplexer ist, als wir es uns vorgestellt haben.

Inwiefern?

Wir wünschen uns einfache, allgemeingültige und global anwendbare Lösungen. Aber die gibt es nicht. Wir müssen im Kleinen anfangen. Bei uns, in unserer unmittelbaren Umgebung, die anders ist als anderswo. Wir müssen lernen, regional zu denken und unser Verhalten auf unsere Umgebung abzustimmen. Und nicht darauf zu warten, dass das andere für uns tun. Genau da sehe ich die Chance für eine solche lokal verankerte Veranstaltungsreihe.

Gastgeber Andreas Caminada, der chilenische Spitzenkoch Rodolfo Guzmann und Andreas Bärtsch von graubündenVIVA.

Welche Rolle kommt der Gastronomie zu?

Es gibt ja keine klima-unneutralere Location als ein Restaurant! Die Lebensmittelproduktion und ihre ganze Versorgungskette verursacht einen Drittel des weltweiten CO2-Ausstosses. Einer unserer Referenten hat vorgerechnet, dass unser ökologischer Fussabdruck in Bezug auf unsere Ernährung erst dann ins Positive kippt, wenn wir pro Woche höchstens einmal rotes Fleisch, einmal weisses Fleisch und einmal Fisch essen. Wer tut das denn schon?

Wie steht es denn da bei Ihnen?

Im Noma bereiten wir schon heute viel weniger Fleisch- und Fischgerichte zu als früher. Dafür haben wir unser vegetarisches und auch veganes Angebot stark ausgebaut. Dies nicht nur für die Gäste, sondern auch bei der Verköstigung unserer Mitarbeiter. Wir schauen gleichzeitig, dass wir kein Food Waste haben. Und wir tun auch sonst alles dafür, nachhaltig zu arbeiten. Aber das ist sehr aufwändig und leider viel einfacher gesagt als getan. Denn: «it’s not the cow, it’s the how…»

Welche Rolle nahmen Sie während des Wochenendes ein?

Ich war der «Advocatus diaboli», der mit seinen unbequemen Fragen den Finger auf die wunden Punkte legt. Und eine dieser Fragen, wenn nicht die wichtigste Frage überhaupt, war: Was wollt ihr denn mit einem jährlichen Symposium erreichen? Was ist euer Ziel?

Und? Wurde diese Frage beantwortet?

Bis zu einem gewissen Grad, ja. Wir haben gemeinsam eine mutige These erarbeitet. Alle Akteure im Bereich Ernährung, also auch die grossen, müssen sich ständig neu erfinden, wenn sie auf dem Markt bestehen wollen. Das führt dazu, dass sie mit der Zeit zwangsläufig selber zu Erneuerern werden und die Spielregeln durch die Vermittlung ihres Fachwissens positiv verändern. Ob und in welcher Form diese These jetzt in den Aufbau eines regionalen Food Symposiums Eingang findet, hängt von vielen Faktoren ab. Es wäre aber schön, wenn wir mit unserer Diskussion einen ersten Schritt hin zur Realisierung gemacht hätten.

Wie sieht René Redzepi privat die Zukunft unseres Planeten?

Ich habe Kinder. Das führt automatisch zu einem anderen Blickwinkel. Doch erstaunlicherweise überwiegt bei mir trotz aller Ängste das Positive. Denn unsere Kinder, da bin ich überzeugt, können das ändern, was wir nicht schaffen!

Redaktion und Interview: Philipp Bitzer
Bilder: Tina Sturzenegger

Die Teilnehmer des ersten Future Dialog mit u. a. Robert Niederkofler (6. v. l.), Ana Ros (rechts vor ihm kniend) und Rebeca Clopath (kniend 2. v. r.).

Die Organisation «graubündenVIVA»

graubündenVIVA ist eine Public Private Partnership zwischen dem Kanton Graubünden und regionalen Unternehmen und Institutionen und steht für das Beste, was der Kanton Graubünden an Genuss, Kulinarik und Regionalität zu bieten hat. Das mehrjährige Programm gipfelt im Fest der Sinne, welches von Mai 2019 bis Oktober 2020 quer durch den Kanton Graubünden und an verschiedenen weiteren Schauplätzen in der Schweiz stattfindet. «graubündenVIVA. Genuss aus den Bergen.» ist ein schweizweit einzigartiges Programm zur Stärkung des Standorts Graubünden über das Thema Ernährung und Kulinarik. Mit graubündenVIVA positioniert sich der Kanton als erste Alpenregion in der Breite und in der Tiefe konsequent über diese Inhalte.


Die Veranstaltung «Future Dialog 2019»

Zu den erklärten Zielen von graubündenVIVA gehört es, relevante Themen und Fragestellungen rund um die landwirtschaftliche Produktion, Kulinarik und Regionalität aufzugreifen und unter Beizug von regionaler, nationaler und internationaler Expertise Lösungsansätze zu erarbeiten. Der gemeinsam mit dem Bündner Sternekoch Andreas Caminada (Schloss Schauenstein, Fürstenau) initiierte «Future Dialog 2019» markiert den Anfang einer vertieften Auseinandersetzung mit lokalen Ernährungssystemen und deren Wechselwirkungen mit Nachhaltigkeit, Gesundheit und Klimawandel. Rund um den 4. Genussmarkt «Fall in Love» vom 8. September 2019 in Fürstenau widmeten sich 20 Expertinnen und Experten aus Gastronomie, Landwirtschaft, Wissenschaft, Kommunikation und Kunst während zwei Tagen dieser Thematik. Neben den Lokalmatadoren Andreas Caminada, Rebecca Clopath und Georges Blunier gehörten unter anderem der Mitbegründer der Organisation Eaternity, Manuel Klarmann (CH), die Künstlerin Sandra Knecht (CH), der renommierte Food-Journalist Andrea Petrini (F), die Food-Beraterin Afton Halloran (DK) sowie die Spitzenköche René Redzepi vom Restaurant noma (Kopenhagen) und Rodolfo Guzman (Borago, Santiago de Chile) zum hochkarätig besetzten Panel. Zum Programm dieser erstmaligen Veranstaltung gehörten Degustationen, Betriebsbesuche und der Austausch mit Produzentinnen und Gastronomen aus der Region. In der anschliessenden Arbeitssitzung wurde der «Future Dialog» als künftige Plattform für eine wiederkehrende, jährliche Veranstaltung in Graubünden diskutiert. Die Teilnehmer evaluierten dabei mögliche Inhalte, Zielgruppen und Formate für einen institutionalisierten Dialog. In einem nächsten Schritt werden nun die Ergebnisse aus den Fokusgruppen ausgewertet und in die Konzeption von künftigen Veranstaltungen einbezogen.


Könnte dir auch gefallen

Die junge Garde glänzt auf dem Sonnenberg

Mar. 2024

Unsere ausführlichste Restaurantkritik ist immer einem Mitglied der marmite-youngster-Community gewidmet – diesmal sind es sogar zwei.

Unsere ausführlichste Restaurantkritik ist immer einem Mitglied der marmite-youngster-Community gewidmet – diesmal sind es sogar zwei.

Gastgeberin mit bewegter Geschichte

Mar. 2024

Marlene Halter, Germanistin und Köchin, gut bekannt aus dem Restaurant Metzg in Zürich, ist mutig. Als angehende Bäuerin,...

Marlene Halter, Germanistin und Köchin, gut bekannt aus dem Restaurant Metzg in Zürich, ist mutig. Als angehende Bäuerin, packt sie an, was bei vielen nur ein Traum bleibt: Sie erfüllt sich damit ihren Kindheitswunsch.

«Früher war ich voller Hass, heute bin ich voller Liebe»

Mar. 2024

Jordnær-Mastermind Eric Vildgaard über seine Wandlung vom Gangster zum Starkoch, sein Leben als Vater von sechs Kindern und...

Jordnær-Mastermind Eric Vildgaard über seine Wandlung vom Gangster zum Starkoch, sein Leben als Vater von sechs Kindern und die Liebe zu seiner Frau Tina.