«Gemüse hat alle Grenzen geöffnet»

27. August 2020

Selbst mit Kaisergranat oder Schweinebauch entwickelt Christian Hümbs absolute Spitzendesserts. Im Interview spricht der 38-jährige Deutsche über Kopfsalat mit weisser Schokolade und den Aufbau seiner reinen Dessertmenüs. Und er verrät, warum ein Koch ihm einst den Arm gebrochen hat.

Herr Hümbs, vor mir liegt eine Aubergine – was mache ich denn jetzt damit?
Die könnte sehr gut in ein Dessert passen. Die Aubergine hat wenig eigene Süsse, ist sehr cremig, relativ geschmacksneutral und leicht nussig. Es gibt Gemüse, die um ein Vielfaches süsser sind. Das Allereinfachste wäre, wenn Sie die Aubergine halbieren und etwas Olivenöl, Salz und vielleicht etwas Rosmarin darübergeben. Dann eine halbe Stunde im Ofen garen, das Fruchtfleisch herauskratzen und im Thermomix mit weisser Schokolade und etwas Vanille vermengen. Und dann hätten wir auch schon ein recht interessantes Dessert. Der Zusammenbau ist sehr einfach.

Gehen Sie bei Ihren Kreationen immer nach demselben Prinzip vor: ein Gemüse oder eine Frucht als Basis, dann ein Gewürz dazu, dann Kräuter? Oder lassen Sie sich eher spontan leiten?
Ich habe eine Grundzutat und stricke die anderen Komponenten um diese herum. Man kann jedes Aroma mit jedem anderen kombinieren, wichtig ist einzig und allein die Proportion. Wenn du es schaffst, eine Balance zu erreichen, lässt sich alles verbinden. Mit den Jahren bin ich auch sehr sicher geworden, was das Food Pairing angeht, da leiste ich mir kaum noch Fehlgriffe. 

Stehen Sie manchmal nachts auf, um Ideen zu notieren, oder gar in der Küche, um Neues auszuprobieren?
Nein, nie. Ich habe bei der Bundeswehr das Schlafen gelernt. Wenn ich schlafe, schlafe ich. Aber ich habe überall Notizblöcke liegen und halte die neuen Ideen immer gleich fest. Inspiriert werde ich eigentlich immer abseits der Küche, sehr häufig beim Musikhören. Da lasse ich meine Gedanken schweifen und beisse mich an einer Zutat fest. Schon im Kopf füge ich sie mit anderen Aromen zusammen.

Und worum geht es Ihnen dabei – immer möglichst neue Kombinationen zu finden?
Eigentlich immer. Das ist für mich das Essentielle an meinem Beruf. Und ich habe in der Vergangenheit gezeigt, dass man fast alles miteinander kombinieren kann. Die Hauptsache ist und bleibt natürlich der Geschmack. Aber noch vielmehr geht es mir heute darum, diese Kombinationen geschmacklich zu perfektionieren.

Sollen Ihre Desserts auch immer noch provozieren?
Nein, das muss nicht mehr sein. Früher vielleicht. Aber heute ist das für mich nicht mehr zeitgemäss. Auch wenn meine Zusammenstellungen ja alles andere als klassisch sind und den Gast in gewisser Weise immer auch fordern, wenn ich zum Beispiel Kopfsalat im Dessert verwende.

Kopfsalat in der Kombination womit?
Der geht zum Beispiel sehr gut mit weisser Schokolade, Gurke und Passionsfrucht. Die leicht herbe Note des Kopfsalates bietet ein schönes Gegengewicht zur Frucht und zur Süsse der Schokolade.

Sie brauchen aber keine Ameisen, die über den Sauerrahm laufen und angeblich nach Limette schmecken sollen, wie sie im Noma in Kopenhagen serviert wurden?
Waren Sie schon mal im Noma?

Ja.
Und?

Es war gut, aber in manchen Momenten doch sehr inszeniert. Das wirkte – wie mit den Ameisen – durch die offensichtliche Provokation extrem bemüht.
Das sehe ich genauso. Wenn lebende Ameisen geschmacklich super wären, hätte ich auch nichts dagegen. Mein Besuch im Noma war sicher interessant, aber kein kulinarisches Highlight. Die Ameisen schmecken leicht säuerlich, gehen in einem Gericht jedoch sehr schnell unter. Ich habe mir auch mal welche dieser sehr grossen getrockneten Ameisen aus dem Amazonas-Gebiet schicken lassen und probiert. 

Und?
Das war kein Knaller. Das waren Ameisen, nicht mehr.

Wie bauen Sie Ihre Dessertmenüs auf?
Es geht grösstenteils um das Ausbalancieren von süss, salzig und herzhaft. Manchmal reicht ein Gramm Salz und man ist nicht mehr bei einem Dessert, sondern beim Zwischengang eines normalen Menüs. Und als Gast bekommst du im Verlauf eines Menüs unglaublich viele Informationen. Ich muss also aufpassen, dass ich nicht zu viel unterbringen will, da das Gehirn irgendwann gar nicht mehr alles aufnehmen kann. Also versuche ich, eine Menü-Dramatik zu entwickeln. Die Gänge sollten aufeinander aufbauen: Vorspeisen, Zwischengang, Hauptgang und Dessert, allerdings alles aus der Sicht und mit dem Handwerk eines Pâtissiers. Deshalb spielt ja gerade das Gemüse eine so wichtige Rolle – so lässt sich eine Überzuckerung vermeiden. In der Pâtisserie hat das Gemüse alle Grenzen geöffnet. Es bieten sich nun ganz neue Möglichkeiten. Bei mir liegt der Fokus fast immer auf Gemüse.

Und – wie ja sonst auch – sollten die ersten Gänge nicht zu kräftig, nicht zu wuchtig sein. 
Ganz genau. Du brauchst noch Platz am Gaumen für später. Keine dunklen Saucen also. Und man sollte auch nicht gleich mit Zartbitterschokolade beginnen. Ein Gericht aus Mango, Curry, Vanilleessig und Erbse wäre zum Beispiel optimal. Im Einzelnen sind das alles sehr intensive Aromen. Andererseits verschwinden sie schnell wieder und bleiben nicht im Mund.

Wie könnte einer Ihrer Hauptgänge aussehen?
Auch Fisch und Fleisch bieten ja texturell ganz andere Komponenten, die im Dessert wahnsinnig interessant sein können. Einer der Hauptgänge bestand aus eingelegten Pflaumen, rotem Shiso, Sojasauce, dunkler Schokolade und karamellisiertem Schweinebauch. Das war insgesamt sehr ausgewogen. Oder ein in weisser Schokolade karamellisierter Kaisergranat – die Gäste sind durchgedreht vor Begeisterung.

Muss denn jetzt stets Gemüse ins Dessert?
Nicht zwangsläufig. Rein aromatisch muss es natürlich einen Sinn ergeben. Nehmen wir eine Karotte oder eine Tomate. Die bringen bereits reichlich Süsse mit. Letztlich muss ich der Tomate nur noch 80 Prozent Wasser entziehen und erhalte ihren puren Geschmack. Falls der Gast aber lieber Schokoladenkuchen mag, kann ich ihn von dem, was ich mache, nicht überzeugen. Ich kann jedoch einen neuen Blickwinkel eröffnen. Es gibt ja auch viele Trends, die schnell wieder verschwunden sind. Gemüse hat für mich aber immer weiter an Wichtigkeit gewonnen. Damit ist etwas gelungen, das es in dieser Intensität so noch nie gegeben hat. Möglichst zuckerfreie Desserts sind für mich die Zukunft.

Ganz ohne geht es allerdings nicht.
In manchen Bereichen komplett auf Zucker zu verzichten, wäre rein geschmacklich der totale Schwachsinn. Beim Backen brauchst du Zucker, sonst schmeckt es nicht.

Stimmt es, dass Sie sich beim Armdrücken mit einem anderen Koch einst den Arm gebrochen haben?
Ja, da bin ich Zweiter geworden.

Wann war das?
Das ist 14 oder 15 Jahre her. Es passierte noch ganz zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn, bei Johann Lafer in der Stromburg. Das war meine erste Sterne-Stelle. Im Aufenthaltsraum für das Personal setzte ich mich damals mit Manuel Weyer an den Tisch. Und dann hat es knack gemacht. Das war so ein Männerding – wo mehrere Männer auf einem Haufen sind, ob Autowerkstatt oder Küche, da werden immer mal Kräfte gemessen. Und das ging ziemlich nach hinten los. Ich war kaum drei Monate da und schon fünf Wochen krankgeschrieben. Ich dachte, das war es dann jetzt.

Was hat Lafer dazu gesagt?
Der erfuhr gar nicht, wie es passiert war. Sonst hätte er mich wohl gefeuert. Ich sagte, dass es ein Unfall gewesen, dass ich die Treppe runtergefallen sei. Wissen Sie, ich war jung und wollte damals unbedingt im Sternezirkus dabei sein. Das war mein allergrösster Traum. Und als ich zurückkam, wollte ich es natürlich erst recht allen beweisen. Damals habe ich abartig viel gearbeitet und meinen heutigen Ehrgeiz entwickelt. Ich legte mich richtig ins Zeug und wurde nach einem halben Jahr Chef-Pâtissier. 

Die wichtigste Frage zum Abschluss: Wie lange sollte ein Dessert maximal dauern?
Nach drei vollen Esslöffeln muss es gegessen sein, danach wird der Kopf müde, und der Gast nimmt das Gericht nicht mehr wirklich wahr. Ich kreiere Desserts so, dass der Aufbau plausibel ist und eine Klarheit hat, dass man sie auch mit wenigen Löffeln verstehen kann. Man nimmt den ersten Löffel und weiss sofort, worum es geht. Es ist ein ganz schmaler Grat zwischen Forderung und Überforderung. Diese Ausgewogenheit zu halten, ist meine Aufgabe als Pâtissier. Darum geht es mir.

Text: Oliver Lück
Bild: Lukas Lienhard

Die dazu passende Schwerpunktgeschichte mit Andy Vorbusch vom Memories im Zwei-Sterne-Restaurant des Grand Resort Bad Ragaz lesen Sie in der aktuellen marmite. Das Abo lösen Sie hier.

Backen wie Christian Hümbs? Er verriet uns sein Rezept für Schoggikuchen mit Kirschen.

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